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Nähe oder Distanz? Wie du als Führungskraft professionelle Beziehungen gestaltest.

"Seit ich neu in der Führung bin, beschäftigt mich die Frage nach der richtigen Balance zwischen Nähe und Distanz zunehmend", sagt Thomas, nachdem wir unsere erste Session im Führungs-Coaching begonnen haben. Als erst kürzlich ernannter Leiter eines Teams von IT-Spezialisten ist er fachlich top - doch seit einigen Monaten beschäftigt ihn intensiv die Frage: Wie viel Nähe kann ich meinen Mitarbeitenden zeigen, ohne meine professionelle Distanz und Autorität zu verlieren?  Wie gestalte ich professionelle Beziehungen effektiv, insbesondere wenn ich neu in der Führung bin?


Warum dieser Artikel genau richtig für dich ist:

Kennst du das auch? Du warst zuvor selbst ein Teil des Teams, das du nun führst. Du möchtest eine vertrauensvolle Atmosphäre in deinem Team schaffen, gleichzeitig aber als Führungskraft respektiert werden. Du fragst dich vielleicht:

Darf ich nach dem Privatleben fragen?

Wie reagiere ich, wenn Mitarbeitende mir persönliche Probleme anvertrauen?

Wo ziehe ich die Linie?





Leadership-Coaching bei Balance von Nähe und Distanz: Thomas' Geschichte

Die Situation, in der sich Thomas[1] wieder findet, ist beispielhaft für viele neue Führungskräfte. In seinem 10-köpfigen Team herrscht eine gute Stimmung. Doch kürzlich kam es zu einer Situation, die ihn verunsicherte: Ein Mitarbeiter – mit dem er schon als Kollege früher lange zusammengearbeitet hat – bat um ein persönliches Gespräch und öffnete sich ihm komplett. Familiäre Probleme, finanzielle Sorgen, gesundheitliche Herausforderungen – alles kam auf den Tisch. Thomas hörte teilnahmsvoll zu, wenn auch mit wachsendem Unbehagen.

In den darauffolgenden Wochen nach diesem Gespräch wurde es für Thomas immer schwieriger, dem Mitarbeiter zu seiner Arbeitsleistung kritisches Feedback zu geben.

Hier kommt eine Erkenntnis aus der Forschung ins Spiel. Der Artikel über „Leadership Proximity“ von Ghinea & Cantaragiu aus dem Jahre 2017 betont, wie entscheidend die Balance zwischen Nähe und Distanz ist, um als Führungskraft sowohl effektiv als auch respektiert zu sein.

Um Nähe und Distanz zu erläutern, bedienen sich Ghinea & Cantaragiu dem Bild von Jonathan Swifts Buch «Gullivers Reisen». Ist Gulliver in Liliput, ist alles sehr nah und jede Imperfektion ist sichtbar:


  • Die Nähe erschwert objektive Entscheidungen und kann Grenzverwischung führen. Die Trennung zwischen professioneller und persönlicher Beziehung wird erschwert.

  • Es kann gar zu Mikromanagement führen, da die Führungskraft in alltägliche, operative Details eingreift und den Mitarbeitenden ihre Eigenverantwortung nimmt.

  • Zu viel Nähe lässt umgekehrt auch Mitarbeitende mögliche Schwächen der Führungskraft erkennen. Das ist per se nichts Schlechtes. Es kann aber Auswirkungen auf die wahrgenommene Autorität der Führungsperson haben.

 

Natürlich führt Nähe zu einer effektiveren und schnelleren Kommunikation, stärkt das Vertrauen und das Gemeinschaftsgefühl innerhalb des Teams, um auch einige Vorteile einer gewissen Nähe von Führungskräften zu nennen.

 

Thomas hätte auch anders reagieren können. Im Sinne von: «Das tut mir ja alles leid für dich. Aber das ist privat und geht mich alles nichts an. Ich erwarte, dass du deinen Job erledigst und dich an deine Ziele hältst.» Das wäre wohl eine sehr distanzierte Antwort auf die Aussagen des Mitarbeiters – und das Gegenteil vom Liliput-Effekt: den Brobdingnag-Effekt. Im Brobdingnag-Land ist Gulliver im Land der Riesen und alles sehr weit entfernt.

 

Bei dieser distanzierten Haltung hätte Thomas wohl riskiert,

  • dass der Mitarbeiter sich nicht wertgeschätzt fühlt und sich zurückzieht,

  • dass Thomas unnahbar und desinteressiert wahrgenommen wird,

  • dass Thomas weniger Einfluss auf die tägliche Arbeit und das emotionale Klima im Team hat, was wiederum die Produktivität und Motivation beeinträchtigen könnte.

 

Der Coaching-Prozess

1.      Rollenklarheit

Im Coaching arbeiteten wir gemeinsam an einer neuen Perspektive. Statt von "Grenzen setzen", sprachen wir von, „Rollenklarheit entwickeln“. Das klingt nicht nur positiver, sondern es öffnete für Thomas auch neue Denk- und Handlungsräume.

Für Thomas war die Erkenntnis wichtig, dass er nicht zwischen "nah" und "distanziert" wählen muss, sondern „ein sowohl als auch“ die Lösung ist. Das gelingt am besten, wenn er verschiedene Führungsrollen situationsgerecht einsetzen kann. Als sein Mitarbeiter ihm von dessen privaten Problemen erzählte, fühlte er sich in der Zwickmühle: Menschlich wollte er helfen, als Führungskraft spürte er aber, dass zu viel Nähe problematisch werden könnte.

 

💡 Coaching-Insight: Nähe und Distanz sind keine Gegensätze, sondern Werkzeuge, die du situativ und gezielt einsetzen kannst!

 

Es gibt viele verschiedene Rollenmodelle für Führungskräfte. Manchmal sind es vier Rollen, dann wieder sieben oder gar neun Rollen. Ich arbeite seit vielen Jahren mit fünf Rollen und habe damit gute Erfahrungen gemacht.

Dieses Rollenmodell, angelehnt an Dave Ulrichs, Norm Smallwoods und Kate Sweetmans Leadership Code, hat Thomas geholfen, die verschiedenen «Hüte» zu erkennen, die er situationsabhängig tragen kann:


Als People Manager kann er Einfühlungsvermögen und Verständnis für die Situation des Mitarbeiters zeigen und Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen.


Als Executor behält er trotzdem die Leistungsziele im Blick und stellt sicher, dass diese eingehalten werden. Das kann auch heissen, dass er den Mitarbeitenden im Moment von Arbeitsaufträgen entlastet, damit und bis dieser seine familiäre Situation lösen kann.


Als Self Manager konnte er wahrnehmen und erkennen, was mit ihm selbst geschieht und sich über die Situation bewusst werden. Und deshalb liebe ich dieses Modell, weil es diesen einen ergänzenden Aspekt betrachtet.

Dabei hat Thomas auch geholfen, was ich das «Leadership-Rollen-Tagebuch» nenne. Einige Wochen lang notierte er sich abends:

  • In welcher Rolle war ich heute unterwegs?

  • Welche andere Rolle hätte ich auch noch einnehmen können?

  • Wo fühlte ich mich sicher, wo unsicher?


Interessiert dich dieses "Leadership-Rollen-Tagebuch" auch? Hier kannst du es dir für einen kleinen Unkostenbeitrag herunterladen.

 

2.      Fähigkeit zum Rollenwechsel und Balance zwischen Nähe und Distanz entwickeln

Das Besondere an der Orientierung an Rollen ist das Verständnis, dass diese Rollen nicht starr sind, sondern den bewussten Entscheid erlauben, welchen Hut du ab- oder anlegen willst. Du musst auch nicht perfekt in jeder Rolle sein, aber du solltest bewusst entscheiden können, welche Rolle in welcher Situation angemessen ist.

 

💡 Coaching-Insight: Backstage und Bühne klar trennen: Nutze „Backstage“-Momente, um dich vorzubereiten, und zeige auf der „Bühne“ Professionalität. So bleibt deine Führungsrolle symbolisch stark.

 

Die Fähigkeit, eine der Situation entsprechende Rolle einzunehmen, hilft dir eine Balance zwischen Nähe und Distanz zu entwickeln. 

 

3.      Strategien für Führungskräfte: Rollenklarheit und professionelle Beziehungen

Nach mehreren Coaching-Sitzungen entwickelte Thomas seinen eigenen Stil:


  1. Nähe und Distanz als Balance verstehen: Im Coaching reflektierten wir, dass es nicht darum geht, sich komplett vom Team und seinen Mitarbeitenden zu distanzieren. Thomas wird auch weiterhin einen informellen Austausch mit ihnen pflegen. Bei Kaffeepausen und Mittagessen mit dem Team kann sich Thomas nahbar geben und auch von sich Dinge preisgeben.  Gleichzeitig ist es für Thomas auch klar geworden, dass er nicht die Probleme seiner Mitarbeiten lösen kann oder soll. Und als Vorgesetzter ist es Teil seiner Rolle, auch Feedback seinen Mitarbeitenden zu geben.

  2. Rollenklarheit entwickeln: Statt „Grenzen setzen“ fokussierten wir uns darauf, die Führungsrollen zuerst zu erkennen und dann mit «Leben zu füllen». Thomas lernte, wie er private Gespräche empathisch führen und trotzdem den Fokus auf die professionelle Beziehung wahren kann.

  3. Kommunikation als Werkzeug: Wir übten klare, transparente Kommunikation, um sowohl Kritik als auch Unterstützung so zu formulieren, dass Vertrauen nicht leidet.

  4. Backstage und Bühne trennen: Im Coaching nutzten wir das Backstage- und Frontstage-Konzept, um Thomas zu zeigen, wann und wie er sich professionell zurückziehen kann, um Distanz zu wahren, ohne dabei kalt zu wirken.

  5. Empathie zeigen, ohne Grenzen zu verlieren: Die Nähe und das gute Einvernehmen mit seinem Team, hilft Thomas, Vertrauen aufzubauen, sowie Verständnis und Mitgefühl für die Herausforderungen seiner Mitarbeitenden zu zeigen. Er lernte, wie er bei emotionalen Themen seines Teams zuhören und empathisch reagieren kann, ohne dabei seine Autorität zu gefährden.

 

💡 Praxis-Tipp: Für Mitarbeitende in anspruchsvollen (privaten) Situationen erstelle dir eine Unterstützungslandkarte. Welche internen und externen Anlaufstellen gibt es in deiner Organisation? Diese Übersicht gibt dir Sicherheit in anspruchsvollen Gesprächen.

 

Dein nächster Schritt: So entwickelst du deine Balance zwischen Nähe und Distanz in der Führung

Reflektiere für dich:

  • In welchen Situationen fühlst du dich zwischen Nähe und Distanz hin- und hergerissen?

  • Was wäre ein erster kleiner Schritt in Richtung mehr Rollenklarheit?

 

Lass uns im Gespräch bleiben.

Wie gehst du mit der Balance zwischen Nähe und professioneller Distanz um? Teile deine Erfahrungen in den Kommentaren. Deine Geschichte könnte anderen Führungskräften helfen, ihren Weg zu finden.

 

PS: Gefällt dir der Artikel? Dann teile ihn mit anderen Führungskräften in deinem Netzwerk. Gemeinsam wachsen wir an unseren Herausforderungen!

 


[1] Thomas heisst eigentlich anders. Aber er hat zugestimmt, dass ich hier seine Geschichte wiedergeben darf.

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Patrick Schoch

training & coaching
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